Sommergedichte
Balladen
Tausend Nächte
Tausend Nächte saß ich gottverlassen
und erlebte immer wieder mich,
bis mein Hoffen, Fürchten, Lieben, Hassen
in gespensterhafte Helden wich,
und mir graute selbst vor den Gestalten,
die mit einem Leben ich durchdrang,
das, von ewger Leidenschaft gehalten,
die Erschütterten zu handeln zwang.
Tausend selig - bange Schöpfernächte
feuchteten die Stirn und die Hand,
bis nach immer wilderem Gefechte
ich die Geisterschar in Worte band,
bis mein Herz, das aufgelöst von Tränen,
in den Helden, die es schuf, erstarkt,
bis ich meiner Brust erregtes Sehnen
Eingewiegt - nein: gläsern eingesargt!
Helden schuf ich der Helden Feinde -
und ihr Kampf gab Frieden meiner Brust,
Gott erschuf ich und schuf die Gemeinde -
und ward meiner Frömmigkeit bewusst,
Manner schuf ich und schuf stille Frauen
und erlöste Mann in mir und Weib,
dann mit wunderlichem Selbstvertrauen
gab ich meine Seele jedem Leib.
Aber was aus dieser Brust gesprungen,
sieht mich heute fremd und finster an,
seit ich ihm sein Leben eingesungen,
löste es sich ganz aus meinem Bann,
gleichberechtigt meinem eigenen Leben
ward der Wirklichkeit gewordne Traum,
die befreienden Befreiten schweben
heute an mir vorbei und grüssen kaum.
Baron von Münchhausen (1720 - 1797)
Sehnsucht
Es schienen so golden die Sterne,
am Fenster ich einsam stand
und hörte aus weiter Ferne
das Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leibe entbrennte,
da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
in der prächtigen Sommernacht !
Zwei junge Gesellen gingen
vorüber am Bergeshang,
ich hörte im Wandern sie singen
die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
wo die Wälder rauschen so sacht,
von Quellen, die von den Klüften
sich stürzen in die Waldesnacht.
Sie sangen von Marmorbildern,
von Gärten, die überm Gestein,
in dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
wo die Mädchen am Fenster lauschen,
wenn der Lauten Klang erwacht,
und die Brunnen verschlafen rauschen
in der prächtigen Sommernacht.
Joseph Freiherr von Eichendorff (1788 - 1857)
Sonnenuntergang
Wo bist du? Trunken dämmert die Seele mir
von aller deiner Wonne; denn eben ist's,
dass ich gelauscht, wie, goldner Töne
voll, der entzückende Sonnenjüngling
sein Abendlied auf himmlischer Leier spielt';
es tönten rings die Wälder und Hügel nach.
Doch fern ist er zu frommen Völkern,
die ihn noch ehren, hinweggegangen.
Friedrich Hölderlin (1770 - 1843)
An einem Sommermorgen
An einem Sommermorgen
da nimm den Wanderstab,
es fallen deine Sorgen
wie Nebel von dir ab.
Des Himmels heitre Bläue
lacht dir ins Herz hinein
und schließt, wie Gottes Treue,
mit seinem Dach dich ein.
Rings Blüten nur und Triebe
und Halme von Segen schwer,
dir ist, als zöge die Liebe
des Weges nebenher.
So heimisch alles klingt
als wie im Vaterhaus,
und über die Lerchen schwingt
die Seele sich hinaus.
Theodor Fontane (1819 - 1898)
Am leuchtenden Sommermorgen
Am leuchtenden Sommermorgen
Geh ich im Garten herum.
Es flüstern und sprechen die Blumen,
Ich aber, ich wandle stumm.
Es flüstern und sprechen die Blumen,
Und schaun mitleidig mich an:
"Sei unserer Schwester nicht böse,
Du trauriger, blasser Mann!"
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Meeresstrand
Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.
Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen —
So war es immer schon.
Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.
Theodor Storm (1817 - 1888)
Wolken
Am nächtigen Himmel
ein Drängen und Dehnen,
Wolkengewimmel
in hastigem Sehnen,
in lautloser Hast
- von welchem Zug
gebietend erfasst? -
Gleitet ihr Flug,
es schwankt gigantisch
im Mondesglanz
auf meiner Seele
ihr Schattentanz,
wogende Bilder,
kaum noch begonnen,
wachsen sie wilder,
sind sie zerronnen,
ein loses Schweifen ...
ein Halb-Verstehn ...
ein Flüchtig-Ergreifen ...
ein Weiterwehn ...
ein lautloses Gleiten,
ledig der Schwere,
durch aller Weiten
blauende Leere.
Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929)
Sommer
O Sommerfrühe blau und hold!
Es trieft der Wald von Sonnengold,
in Blumen steht die Wiese;
die Rosen blühen rot und weiß,
und durch die Fluren wandelt leis
ein Hauch vom Paradiese.
Emanuel Geibel (Lübeck 1815 - 1884)
Und darein, woraus die Dinge entstehen, vergehen sie auch wieder, wie es bestimmt ist.
Anaximander von Milet, griechischer Philosoph (um 610 - 546 v. Chr.)