Herbstgedichte Teil II.
Die Blätter fallen
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Geh unter, schöne Sonne
Geh unter, schöne Sonne, sie achteten
nur wenig dein, sie kannten dich, Heil'ge, nicht,
denn mühelos und stille bist du
über den Mühsamen aufgegangen.
Mir gehst du freundlich unter und auf, o Licht!
und wohl erkennt mein Auge dich, Herrliches!
Denn göttlich stille ehren lernt ich,
da Diotima den Sinn mir heilte.
Oh du, des Himmels Botin! wie lauscht ich dir!
Dir, Diotima! Liebe! wie sah von dir
zum goldnen Tage dies Auge
glänzend und dankend empor. Da rauschten
lebendiger die Quellen, es atmeten
der dunkeln Erde Blüten mich liebend an,
und lächelnd über Silberwolken
neigte sich segnend herab der Äther.
Friedrich Hölderlin (1770 - 1843)
Herbstgedicht
Nun laß den Sommer gehen,
laß Sturm und Winde wehen.
Bleibt diese Rose mein,
wie könnt ich traurig sein?
Joseph Freiherr von Eichendorff (1788 - 1857)
Herbst
Astern blühen schon im Garten,
schwächer trifft der Sonnernstrahl.
Blumen, die den Tod erwarten
durch des Frostes Henkerbeil.
...Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,
welke Rosen, reife Frucht.
Detlev von Liliencron (1844 - 1909)
Herbsttag
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
Oh stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was von dem milden Strahl der Sonne fällt.
Christian Friedrich Hebbel (1813 - 1863)
Die Malve
Wieder hab ich dich gesehen
blasse Malve! Blühst du schon?
Ja, mich traf ein schaurig Wehen
All mein Frühling welkt davon
Bist du doch des Herbstes Rose
der gesunkenen Sonne Kind
bist du starre, düftelose
deren Blüten keine sind.
Ludwig Uhland (1787 - 1847)
Septembermorgen
Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.
Eduard Mörike (1804 - 1875)
Der Herbstwind
Der Herbstwind rüttelt die Bäume,
die Nacht ist feucht und kalt;
gehüllt im grauen Mantel,
reite ich einsam im Wald.
Und wie ich reite, so reiten
mir die Gedanken voraus;
sie tragen mich leicht und luftig
nach meiner Liebsten Haus.
Die Hunde bellen, die Diener
erscheinen mit Kerzengeflirr;
die Wendeltreppe stürm ich
hinauf mit Sporengeklirr.
Im leuchtenden Teppichgemache,
da ist es so duftig und warm,
da harret meiner die Holde -
ich fliege in ihren Arm.
Es säuselt der Wind in den Blättern,
es spricht der Eichenbaum:
was willst du, törichter Reiter,
mit deinem törichten Traum?
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Der Herbst
Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
ich liebe dieses milde Sterben.
Von hinnen geht die stille Reise,
die Zeit der Liebe ist verklungen,
die Vögel haben ausgesungen,
und dürre Blätter sinken leise.
Die Vögel zogen nach dem Süden,
aus dem Verfall des Laubes tauchen
die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
die Blätter fallen stets, die müden.
In dieses Waldes leisem Rauschen
ist mir als hör' ich Kunde wehen,
daß alles Sterben und Vergehen
nur heimlich still vergnügtes Tauschen.
Nikolaus Lenau (1802 - 1850)
Und wenn wir die ganze Welt durchreisen, um das Schöne zu finden: Wir mögen es in uns tragen, sonst finden wir es nicht.
Ralph Waldo Emerin, amerikanischer Philosoph (1803 - 1882)