Gedichte
ABENDGEDICHTE
MONDNACHT
Es war, als hätt der Himmel
die Erde still geküßt,
daß sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müßt`.
Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.
Joseph Freiherr von Eichendorff (1788 - 1857)
ABEND
Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt;
und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt -
und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
dein Leben bang und riesenhaft und reifend,
so dass es, bald begrenzt und bald begreifend,
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
ABENDPHANTASIE
Wenn die Sonne weggegangen,
kommt die Dunkelheit heran,
Abendrot hat goldne Wangen,
und die Nacht hat Trauer an.
Seit die Liebe weggegangen,
bin ich nun ein Mohrenkind,
und die roten frohen Wangen
dunkel und verloren sind.
Dunkelheit muß tief verschweigen
alles Wehe, alle Lust;
aber Mond und Sterne zeigen,
was mir wohnet in der Brust.
Wenn die Lippen dir verschweigen
meines Herzens stille Glut,
müssen Blick und Tränen zeigen,
wie die Liebe nimmer ruht.
Clemens von Brentano (1778 - 1842)
ÜBERLASS ES DER ZEIT
Erscheint dir etwas unerhört,
bist du tiefsten Herzens empört,
bäume nicht auf,versuchs nicht mit Streit,
berühr es nicht,überlaß es der Zeit.
Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,
am zweiten läßt du dein Schweigen schon gelten,
am dritten hast du`s überwunden;
alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.
Theodor Fontane (1819 - 1898)
DER ABEND KOMMT GEZOGEN
Der Abend kommt gezogen,
der Nebel bedeckt die See;
geheimnisvoll rauschen die Wogen,
da steigt es weiß in die Höh'.
Die Meerfrau steigt aus den Wellen,
und setzt sich zu mir an den Strand;
die weißen Brüste quellen
hervor aus dem Schleiergewand.
Sie drückt mich, und sie preßt mich,
und tut mir fast ein Weh; -
»du drückst ja viel zu fest mich,
du schöne Wasserfee!«
»Ich preß dich, in meinen Armen,
und drücke dich mit Gewalt;
ich will bei dir erwarmen,
der Abend ist gar zu kalt.«
Der Mond schaue immer blasser
aus dämmriger Wolkenhöh';
»dein Auge wird trüber und nasser,
du schöne Wasserfee!«
»Es wird nicht trüber und nasser,
mein Aug' ist naß und trüb,
weil, als ich stieg aus dem Wasser,
ein Tropfen im Auge blieb.«
Die Möwen schrillen kläglich,
es grollt und brandet die See; -
»dein Herz pocht wild beweglich,
du schöne Wasserfee!«
»Mein Herz pocht wild beweglich,
es pocht beweglich wild,
weil ich dich liebe unsäglich,
du liebes Menschenbild!«
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Zwei Dinge sind unendlich: Das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher.
Albert Einstein (dt.-am. Physiker, 1879 - 1955)