Herbstgedichte Teil I.

Herbstimpressionen
Herbstimpressionen ...buntes Laub... - Foto: Wikipedia (gemeinfrei)



Herbsttag




Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.






Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.



Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)


Vogelbeere (auch Eberesche oder Vogelbeerbaum)
Vogelbeere (auch Eberesche oder Vogelbeerbaum) Pflanzenart aus der Gattung Mehlbeeren (Sorbus)


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926) Rilke, um 1900 - Foto: Wikipedia (gemeinfrei)



Rainer Maria Rilke wurde am 4. Dezember 1875 in Prag, damals zu Österreich-Ungarn gehörend, geboren. Sein vollständiger Name lautet: René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke. Er war ein österreichischer Lyriker deutscher und französischer Sprache. Mit seiner in den Neuen Gedichten vollendeten, von der bildenden Kunst beeinflussten Dinglyrik gilt er als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne. Aus Rilkes Werk sind etliche Erzählungen, ein Roman und Aufsätze zu Kunst und Kultur sowie zahlreiche Übersetzungen von Literatur und Lyrik bekannt. Sein umfangreicher Briefwechsel gilt als wichtiger Bestandteil seines literarischen Schaffens. Rilke verstarb am 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont bei Montreux, Schweiz.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926) ...österreichischer Lyriker...


Sein Vater war Angestellter einer Eisenbahngesellschaft. Seine Mutter behandelte den Sohn bis zu seinem sechsten Lebensjahr als Mädchen (René). Sein Vater schickte ihn mit elf Jahren zur Militärschule. Die Militärjahre waren für ihn ein Alptraum und ein "undurchdringliches Verhängnis". 1891 lernte er in der Handelsakademie in Linz. 1895 machte er sein Abitur in Prag als sogenannter privater Schüler. Die Auseinandersetzung mit der Kindheit beschäftigte Rilke sein ganzes Leben. Seine wichtigsten Werke sind u.a.: Larenopfer, 1895; Traumgekrönt, 1896; Advent, 1897; Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke, 1906; Das Buch der Bilder, 1906; Neue Gedichte, 1907; Requiem, 1909; Die Sonette an Orpheus, 1923. Rilke starb am 29. Dezember 1926 in Valmont sur Territet (Schweiz).

Rilke wurde am 2. Januar 1927 – seinem Wunsch entsprechend – in der Nähe seines letzten Wohnorts auf dem Bergfriedhof von Raron (Schweiz) beigesetzt. Auf seinem Grabstein steht der von Rilke selbst verfasste und für den Grabstein ausgewählte Spruch:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.


Herbstimpressionen
Herbstimpressionen ...in Krefeld-Uerdingen am Rhein - Hohenbudberg


Abend in Skåne



Der Park ist hoch. Und wie aus einem Haus

tret ich aus seiner Dämmerung heraus

in Ebene und Abend. In den Wind,

denselben Wind, den auch die Wolken fühlen,

die hellen Flüsse und die Flügelmühlen,

die langsam mahlend stehn am Himmelsrand.

Jetzt bin auch ich ein Ding in seiner Hand,

das kleinste unter diesen Himmeln. - Schau:



Ist das Ein Himmel?:

Selig lichtes Blau,

in das sich immer reinere Wolken drängen,

und drunter alle Weiß in Obergängen,

und drüber jenes dünne, große Grau,

warmwallend wie auf roter Untermalung,

und über allem diese stille Strahlung

sinkender Sonne.





Wunderlicher Bau,

in sich bewegt und von sich selbst gehalten,

Gestalten bildend, Riesenflügel, Falten

und Hochgebirge vor den ersten Sternen

und plötzlich, da: ein Tor in solche Fernen,

wie sie vielleicht nur Vögel kennen . . .


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)


Die Blätter fallen

Herbstimpressionen
Herbstimpressionen Feldweg bei Neukirchen-Vluyn


Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde

aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)


Gelber Sonnenhut (Rudbeckia fulgida)
Gelber Sonnenhut (Rudbeckia fulgida) Familie der Korbblütengewächse (Asteraceae)

Abendphantasie



Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt

der Pflüger; dem Genügsamen raucht sein Herd.

Gastfreundlich tönt dem Wanderer im

friedlichen Dorfe die Abendglocke.



Wohl kehren jetzt die Schiffer zum Hafen auch,

in fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts

geschäft'ger Lärm; in stiller Laube

glänzt das gesellige Mahl den Freunden.



Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen

von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh

ist alles freudig; warum schläft denn

nimmer nur mir in der Brust der Stachel?




Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;

unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint

die goldne Welt; o dorthin nehmt mich,

Purpurne Wolken! und möge droben



in Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid! -

Doch, wie verscheucht von törichter Bitte, flieht

der Zauber; dunkel wird's und einsam

unter dem Himmel, wie immer, bin ich -



Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt

das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,

du ruhelose, träumerische!

Friedlich und heiter ist dann das Alter.


Friedrich Hölderlin (1770 - 1843)


Herbst

Herbstimpressionen
Herbstimpressionen ...in einem Park...



Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

als welkten in den Himmeln ferne Gärten,

sie fallen mit verneinender Gebärde.


Und in den Nächten fällt die schwere Erde

aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand dafällt.


Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.


Rainer Maria Rilke, Prag 1875 - Val-Mont bei Montreux 1926





Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.

Wilhelm von Humboldt
(Potsdam 1767 - Berlin-Tegel 1835)


Fotos Herbstimpressionen Teil I.